Ölmarktbericht Januar, 2023

Wir stehen am Anfang eines neuen Jahres – ein guter Zeitpunkt für einen Rückblick auf die vergangenen zwölf Monate, aber auch für einen Blick auf das, was uns in den nächsten Monaten voraussichtlich erwartet.

In unserem letzten Jahresbericht (https://portland-fuel.de/oelmarktberichte/oelmarktbericht-01-22/) haben wir die Entwicklung der Ölpreise sowie das Ausmaß der Preisbewegungen korrekt vorhergesagt. Außerdem prophezeiten wir noch vor dem russischen Überfall auf die Ukraine (den wir nicht vorausgesagt haben) extreme Preissteigerungen und die zunehmende Wahrscheinlichkeit einer größeren Preisspitze: „Mit Blick auf das Jahr 2022 können wir sagen, dass die Situation zwischen Angebot und Nachfrage weiterhin kritisch ist und dass die Gefahr einer größeren Preisspitze in diesem Jahr wahrscheinlicher ist als im Jahr 2021“ [Ölmarktbericht, Januar 2022]. Wir wiesen ferner darauf hin, dass die Preise infolge der abnehmenden Investition in die Ölproduktion, verbunden mit einer raschen Erholung der Nachfrage nach der Pandemie, einem enormen Druck ausgesetzt waren. Schließlich verwiesen wir auf die unglaubliche Situation in Bezug auf Gas, das bereits im Januar 2022 – ebenfalls vor der Invasion der Ukraine – zu schwindelerregenden Preisen gehandelt wurde. Wir prognostizierten, dass dies wichtige Energieverbraucher zu einem Wechsel von Gas zu Öl veranlassen und den Rohölpreis weiter unter Druck setzen würde.

Vor diesem Hintergrund war es kein Wunder, dass der russische Überfall auf die Ukraine erdbebengleiche Auswirkungen auf die Ölmärkte hatte und ein Barrel Rohöl im März fast 140 USD kostete. Betrachten wir jedoch das ganze Jahr und nicht nur die verrückten Frühjahrswochen, dann stieg der Ölpreis insgesamt zwar an, aber nicht ganz so spektakulär, wie man vielleicht erwartet hätte. So lag der Preis für ein Barrel Rohöl am ersten Arbeitstag des Jahres 2022 zunächst bei 77 USD und stieg bis März auf erstaunliche 138 USD an. Im letzten Quartal des Jahres kehrte sich der Trend dann wieder um, so dass der Preis für ein Barrel Rohöl am letzten Arbeitstag, dem 30. Dezember 2022, „nur“ noch bei 86 USD lag – ein der Inflation entsprechender Gesamtanstieg von 12 % oder 9 USD pro Barrel.

Doch wie so oft steckt auch hier der Teufel im Detail, und der Dollarpreis des Rohöls ist nur ein Teil des Puzzles! Der erste Grund, warum die britische Öffentlichkeit einen Anstieg von mehr als nur 9 USD pro Barrel zu spüren bekam, war unser alter Freund, der Wechselkurs. Jeder weiß inzwischen, dass Öl in US-Dollar gehandelt wird und der Ölpreis für den Verkauf im Vereinigten Königreich in Britische Pfund (GBP) umgerechnet werden muss. Am 30. Dezember 2022 hatte 1 GBP den Wert von 1,2029 USD, und Diesel wurde mit 958 USD pro Tonne gehandelt. Für die Briten ergab das einen Preis in Höhe von 796 GBP pro Tonne bzw. 67,32 Pence pro Liter. Nun, genau zwölf Monate früher, am 30. Dezember 2021, lag der Wechselkurs noch bei 1 GBP = 1,3544 USD. Hätten wir den Kurs von 2021 auch im Jahr 2022 auf den Preis für Diesel (958 USD) anwenden können, dann hätte er im Dezember 2022 nur 707 GBP pro Tonne (958 ÷1,3544) oder 59,79 Pence pro Liter betragen. Der Wertverlust des Britischen Pfunds verursachte somit einen Anstieg von 7,50 Pence pro Liter (+10 %), der dem Anstieg der Grundkosten für Rohöl im Höhe von 12 % noch hinzugefügt werden muss.

Kommen wir zum zweiten Grund: 2022 war es weder der Rohölpreis noch der Sturz des Britischen Pfunds, sondern der steile Anstieg der Dieselkosten, der Schlagzeilen machte. Marktkommentatoren sind oftmals auf den Preis des Rohöls fixiert, der in direkter Form eigentlich nur die Raffinerien betrifft. Für Verbraucher dagegen ist es das fertige Produkt und in diesem Fall der Preis von Diesel, der sich in besonders hohem Maße bei den Lebenshaltungskosten niederschlägt. Und auch hier wurden außergewöhnliche Preisentwicklungen verzeichnet. Am 4. Januar 2022 kostete Dieselkraftstoff 677 USD pro Tonne und wäre er derselben Kurve wie Rohöl gefolgt, hätte er am Jahresende logischerweise rund 12 % mehr, also 760 USD, kosten müssen. Weit gefehlt! Ende des Jahres war Diesel mit einem Preis von 958 USD pro Tonne 40 % teurer als zu Jahresbeginn. In Verbindung mit dem geltenden Wechselkurs waren die Kosten für Diesel somit um 60 % bzw. 25 Pence pro Liter gestiegen. Der Anstieg um lächerliche 9 USD pro Barrel Rohöl ist demnach kaum mehr erwähnenswert!

Und damit wären wir auch schon bei unseren Prognosen für das Jahr 2023 angelangt. Erste Prognose: In diesem Jahr wird der Fokus sehr viel stärker auf raffinierten Brennstoffen und insbesondere auf Diesel liegen. Zweite Prognose: Russland wird zum ersten Mal seit Invasion der Ukraine die Konsequenzen der Sanktionen zu spüren bekommen und auch hier spielt Diesel eine wichtige Rolle. Während sich der Lieferfluss des Rohöls infolge des Boykotts durch den Westen im Jahr 2022 lediglich von Europa nach China und Indien verlagert hat, wird dies mit dem russischen Dieselkraftstoff, der ab Februar 2023 mit den bisher strengsten Sanktionen belegt wird, nicht passieren. Die asiatischen Länder benötigen zwar alle Rohöl, um ihre Raffinerien in Betrieb zu halten, doch was sie nicht brauchen, ist fertiger Dieselkraftstoff aus Russland, der lediglich die Auslastung der chinesischen und indischen Raffinerien untergraben würde. Genauer gesagt wird russischer Diesel keine Abnehmer finden und vom Markt verschwinden – im Westen aufgrund der Sanktionen und im Osten aufgrund des Raffinerieprotektionismus. Als Folge davon – und dies ist unsere dritte Prognose – ist in der ersten Hälfte von 2023 mit einer beträchtlichen Dieselpreis-Spitze sowie einem deutlichen Einbruch der russischen Raffinerieindustrie zu rechnen (vierte Prognose). Unserer nächsten und fünften Prognose zufolge wird sich die Korrelation zwischen Diesel und Rohöl erneut verflüchtigen – eine Situation, die jedoch nicht lange anhalten wird, da die nichtrussischen Kapazitäten zunehmen und die Nachfrage sehr bald decken werden. In der zweiten Jahreshälfte wird der Dieselpreis daher allmählich sinken und erneut mit den sich stabilisierenden Rohölpreisen korrelieren. Und jetzt folgt unsere letzte und gewagteste Prognose: Rohöl wird 2023 billiger als im Vorjahr sein. Oh, … und noch etwas: Auf den Ölmärkten wird es auch in diesem Jahr bestimmt nicht langweilig werden!